Schweizerische (und transnationale) Quellen zur Geschichte der modernen Verwaltung
Diese Anthologie des Schweizerischen Bundesarchivs (BAR) skizziert anhand von ausgewählten und in dieser Einleitung in einen Zusammenhang gestellten Quellen eine Geschichte der Organisation der modernen (Bundes-) Verwaltung. Diese Assemblage beleuchtet einige wichtige Phasen des Aufbaus einer zentralen öffentlichen Verwaltung im 19. und 20. Jahrhundert, die in der Schweiz durch einen dreistufigen Staatsaufbau – Gemeinden, Kantone, Bund – geprägt ist. Die Anthologie beleuchtet Massnahmen der Professionalisierung der Regierungstätigkeit auf Bundesebene, die Diskussion um den Ausbau, die Rationalisierung und die Effizienzsteigerung in der Bundesverwaltung sowie die Debatte um die Privatisierung von Bereichen der öffentlichen Verwaltung auf Bundesebene und deren Wirkungsorientierung.1
Was ist eine öffentliche Verwaltung?
Die öffentliche Verwaltung unterstützt eine Regierung, die Exekutive, in ihrer Tätigkeit, das heisst in der Ausführung von Beschlüssen des Parlaments, der Legislative also. In der Politikwissenschaft wird immer wieder die Abgrenzung zwischen Regierung und Verwaltung diskutiert. Eine internationale Bezugsgrösse dieser Debatte ist Woodrow Wilson, der von der „Politics-Administration-Dichotomie“ sprach.2 Sein Konzept unterscheidet grundsätzlich zwischen gewählten Vertreterinnen und Vertretern des Volkes in einem Parlament oder einer Regierung und Beamten einer öffentlichen Verwaltung. Eine nationale Referenz in dieser Debatte ist Fritz Fleiner, der die Verwaltung als „handelnde Staatsgewalt“ bezeichnet.3
Die Unterstützung der Exekutive umfasst die Vorbereitung, die Umsetzung und den Vollzug von Gesetzen und Verordnungen. Damit produziert die Verwaltung „bindende Entscheidungen“ (Niklas Luhmann), welche nicht nur die Rahmenbedingungen für die Gesellschaft festlegen, sondern zunehmend auch eine Steuerungsfunktion beinhalten.4 Die Substanz, die Richtung und das Ausmass dieser Steuerungsmassnahmen sind national und supranational unterschiedlich ausgestaltet.
Was ist Verwaltungsgeschichte?
Verwaltungsgeschichte analysiert die Herkunft, Entstehung und Veränderung von Interaktionen in der Verwaltung, die solche bindenden Entscheidungen herstellen. Diese Analysen setzen bei den Akteuren und ihrer jeweiligen Handlungslogik wie beispielsweise den Fragen von „Departementalisierung“, „Arbeitsteilung“ oder „Delegation“ an. Im Fokus dieser Anthologie stehen die Praktiken der schweizerischen Bundesverwaltung und speziell die Zeit nach 1918, als solche Entscheidungen zunehmend durch interne und externe Abstimmungsprozesse erzielt wurden. Ein Augenmerk gilt dabei organisationsgeschichtlich der Definition von Problemen und der Kapazität für ihre Lösung. Eine transnationale Perspektive bemüht sich um den Anschluss an die internationale Forschung, sie richtet den Blick auf Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Verflechtungen.
Quellenauswahl
Die Anthologie zur Verwaltungsgeschichte umfasst 14 Quellen und Texte. Sie wurden anhand ihres Stellenwerts für die Beschreibung wichtiger Phasen beim Aufbau der Bundesverwaltung und ihrer Bedeutung für einen möglichen transnationalen Vergleich ausgewählt:
- Sechs Quellen des BAR zu Gesetzen über die Organisation der schweizerischen Bundesverwaltung zwischen 1849 und 1979, davon drei Botschaften des Bundesrates, ein Bundesratsbeschluss (BRB), ein Bericht sowie ein Gesetzestext;
Die zwölf ausgewählten schweizerischen Dokumente beleuchten primär die Exekutive auf Bundesebene. Weil eine moderne, aussagekräftige Verwaltungsgeschichte jedoch transnational ausgerichtet sein sollte, werden zusätzlich und exemplarisch eine deutsche und eine britische Quelle in die Anthologie aufgenommen.
Die Entwicklung der Schweizerischen Bundesverwaltung
Der moderne Bundesstaat der Schweiz wurde nach einem kurzen Krieg zwischen den katholischen, konservativen (Verliererseite) und den progressiven, liberalen Kantonen (Siegerseite) 1848 gegründet. Da die zu grossen Teilen noch auf das Ancien Régime zurückgehenden dezentralen Verwaltungsstrukturen den Anforderungen eines modernen Staatswesens im 19. Jahrhundert nicht genügten,5 musste eine neue, zentrale Verwaltung, ein „klassischer Staatsapparat“6, aufgebaut werden, wobei das Modell der Kanzlei zugunsten der Delegation aufgegeben wurde.7
Grundlage dafür war das Bundesgesetz über die Organisation und den Geschäftsgang des Bundesrathes [sic!] vom 7. Juli 1849. Das Gesetz war erstaunlich kurz: Es umfasste auf 17 Seiten nur 38 Artikel. Es regelte im ersten Abschnitt die Organisation des Bundesrates, die Regierung des schweizerischen Bundesstaates; im zweiten Abschnitt die „Allgemeinen Befugnisse und Verrichtungen des Bundesrathes“, seine Aufgaben also; und im dritten Abschnitt die Einteilung und die Aufgaben der Departemente und der Bundeskanzlei. Das Gesetz definierte damit das Verhältnis gegenüber National- und Ständerat, den beiden Kammern der gesetzgebenden Behörde des schweizerischen Bundesstaates.
Die Bundesverwaltung hatte insbesondere die Aufgabe, die Rahmenbedingungen für eine moderne Wirtschaft und Gesellschaft zu entwerfen. Diese schliesslich auf Beschlüssen von Bundesversammlung (Parlament) und Bundesrat (Regierung) fussenden Massnahmen dienten der Vereinheitlichung eines kulturell, sprachlich, religiös und wirtschaftlich stark zergliederten Territoriums.8 Neben der Bereitstellung der rechtlichen und administrativen Infrastruktur für einen liberal verfassten „Nachtwächterstaat“ spielte dabei die Aussenpolitik eine besondere Rolle, wie Raimund E. Germann in seinem Standardwerk zur öffentlichen Verwaltung in der Schweiz festgestellt hat.9 Im 19. Jahrhundert standen bilaterale Verträge im Vordergrund, die aber oft nicht von der Bundesverwaltung, sondern von Unternehmern ausgehandelt wurden, welche der Bundesrat jeweils zu Bevollmächtigten ernannte hatte. Dieser Milizcharakter prägte das politische System der Schweiz über lange Zeit, was auch Max Weber aufgefallen war.10 Germann sprach sogar von Milizverwaltung und kritisierte Weber, dessen Typologie der schweizerischen Verwaltung nicht entspräche.11 Fritz Fleiner unterschied, ähnlich wie Germann, zwischen „Beamten- und Volkstaat[en]“.12
Die wachsenden Aufgaben der Verwaltung führten wiederholt zu Reorganisationen in der Regierung. Mitte der 1890er Jahre beklagte der Bundesrat den „fortwährenden Wechsel der Departemente in Bezug auf die Mitglieder des Bundesrates; [die] mehr oder weniger bedeutende Entwicklung aller Departemente mit Ausnahme des politischen Departementes, bei dem es infolge des alljährlichen Vorsteherwechsels an Folgerichtigkeit und Kontinuität in der Behandlung der Geschäfte mang[elt,] [sowie die] ungleiche Verteilung der Geschäfte unter die Departemente“. In der Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend Organisation und Geschäftsgang des Bundesrates vom 4. Juni 1894 wurden diese Klagen aus- und mit dem Vorschlag einer Reorganisation einer Lösung zugeführt: Der Bundesrat sollte sich fortan sieben Departemente teilen, alljährlich die Verteilung der Aufgaben vornehmen und diese klar definieren. Konkretisiert wurde diese Delegation von Aufgaben im Bundesratsbeschluss betreffend die Kompetenzen der Departemente und der Abteilungschefs vom 9. April 1897.13
Mit der Auswahl der beiden internationalen Quellen für die Anthologie soll darauf hingewiesen werden, dass ein vergleichender, transnational ausgerichteter Forschungsansatz einen Mehrwert an Erkenntnis und Wissen zur Verwaltungsgeschichte ermöglicht. Auf dieses Potential verweisen eine deutsche Quelle zum Aufbau der preussischen Verwaltung und eine britische Quelle zur Organisation des Civil Service. Sie stehen exemplarisch für zwei verschiedene Richtungen, in die sich die Verwaltungen international entwickelt haben.
Die Denkschrift von Heinrich Friedrich Karl vom und zum Stein Über die zweckmässige Bildung der obersten und der Provinzial-, Finanz-, und Polizei-Behörden in der preussischen Monarchie ist berühmt. Sie skizzierte 1807 ein Programm zur Neugestaltung der preussischen Staatsverwaltung. In diesem Entwurf einer umfassenden Staatsreform standen zwei Forderungen im Zentrum: Erstens der Umbau des Generaldirektoriums (der obersten Staatsbehörde Preussens) nach dem Sachprinzip (Sachministerien) anstelle eines Nebeneinanders von Sach- und Provinzialministerien. Vom und zum Stein verlangte zweitens eine Neuverteilung der Geschäfte in einzelnen Bereichen. Solche Fragen der Aufteilung und Abgrenzung stellten sich 50 Jahre später auch im modernen schweizerischen Bundesstaat. Und weil die Organisation der Geschäfte den tatsächlichen Aufgaben schon bald nicht mehr genügte, mussten Bundesrat und Verwaltung 1894 erneut reorganisiert werden. Es hat sich fortan sowohl im deutschen Raum wie auch in der Schweiz gezeigt, dass der moderne gesellschaftliche Wandel – die Industrialisierung, Mobilisierung, Globalisierung etc. –, die Verwaltungen zu ständigen Reorganisationen zwingen, um ihren jeweiligen Steuerungsfunktionen und Versorgungsaufgaben zu genügen.
Einen anderen Ansatz als vom und zum Stein verfolgten Stafforth H. Northcote und C.E. Trevelyan 1854. In ihrem Report on the Organisation of the Permanent Civil Service stellten sie Fragen nach der Auswahl, der Ausbildung und der Förderung von Personal. Dieser überaus modern anmutende Ansatz eines Personalmanagements, das in der Schweiz erst viel später, im 20. Jahrhundert, zum Tragen kam, zielte auf die Professionalisierung der britischen Verwaltung. Das Ziel war ein Civil Service, der nur aus den besten Angestellten bestehen sollte. Das Hauptaugenmerk galt dabei, ähnlich wie in der Schweiz, wirtschaftlichen Bedürfnissen und nicht der Verbesserung der Wirksamkeit der Verwaltung als solcher. Gestützt auf Erfahrungen bei der Verwaltung des kolonialen britischen Reiches, argumentierte der Northcote-Trevelyan-Report, dass die Aufgaben in der Verwaltung in mechanische und intellektuelle Arbeiten eingeteilt werden und dass die Auswahl und die Rekrutierung des Personals entsprechend erfolgen müsse. Dies unterschied sich aber nun wesentlich von der Schweiz, in der, wie oben erwähnt, bis in das 20. Jahrhundert primär auf eine Milizverwaltung gesetzt wurde.
Es waren primär die beiden Weltkriege mit ihrer Notwendigkeit, die Verteidigung und Versorgung des Landes zentralstaatlich zu steuern, aber auch die Aufgaben eines noch jungen, langsam wachsenden Sozialstaates – vgl. etwa die Fabrik- und Fürsorgegesetzgebung –, welche für eine Professionalisierung der Bundesverwaltung sorgten. Dies zeigt sich paradigmatisch in der Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Organisation der Bundesverwaltun vom 13. März 1913, in der die Frage erörtert wurde, ob die Zahl der Mitglieder des Bundesrates auf neun erhöht und die Organisation der Bundesverwaltung einer einheitlichen gesetzlichen Grundlage unterstellt werden sollte. Um die militärischen Aufgaben zu koordinieren und zu finanzieren, benötigte der Bund überdies eine neue Einnahmequelle. Er hatte seinen schlanken Mitarbeiterstab bis anhin nur mit Zolleinnahmen finanziert. Weil das nicht mehr ausreichte, beantragte er die Einführung einer Bundessteuer, die sogenannte „Kriegssteuer“. Damit begann das Finanzdepartement zum eigentlichen Schlüsseldepartement des Bundes zu avancieren.
Nach dem Ersten Weltkrieg baute der Bund seine Verwaltung teilweise zurück, um sie dann in den 1930er und 1940er Jahren wieder massiv auszubauen. Dafür verantwortlich war – neben der Landesverteidigung – vor allem die Kriegswirtschaft im Zweiten Weltkrieg. Die Planung und Koordination der Beschaffung und Verteilung von Rohstoffen, Nahrungsmitteln, Gebrauchswaren usw. wurden beim Bund zentralisiert. Im Gegenzug beauftragte der Bund private Organisationen mit der Versorgung der Schweizer Bevölkerung und der Erstellung von Expertisen. Diese Aufgabenteilung blieb zum Beispiel in der Landwirtschaft noch lange nach Kriegsende bestehen. Die Übertragung von öffentlichen Aufgaben an verwaltungsexterne Institutionen sollte der Bund dann in den 1990er Jahren im Rahmen des New Public Managements wieder intensiv diskutieren (vgl. unten).
Nach dem Zweiten Weltkrieg wollte der Bund die Verwaltung wieder verkleinern. Die entsprechenden Bemühungen lassen sich an den Sparexpertisen festmachen, die in dieser Zeit für nahezu jeden Politikbereich erstellt wurden. Als Beispiel wurde ein Bericht von „Sparexperten“ für den Bereich „Landwirtschaft, Kriegsernährungsamt“ ausgewählt, der zwischen 1947 und 1952 erstellt worden ist. Die Sparvorschläge wurden nur teilweise umgesetzt. Die umfangreichen Materialien als Grundlage für die Erstellung des Berichts sind ebenfalls im BAR zu finden.14 Sie dokumentieren, dass die kriegswirtschaftlichen Strukturen nach Kriegsende einerseits zurückgebaut wurden. Sie zeigen andererseits aber auch schon, welche Bedeutung den Verbänden in den 1950er und 1960er Jahren zukommen sollte: Die Landwirtschaft vermochte ihre Stellung auszubauen, welche sie sich während des Zweiten Weltkrieges an der Schnittstelle zwischen der Gestaltung von Politik und der Umsetzung dieser Politik gegenüber dem Bund erarbeitet hatte.
Der Auf- und Ausbau des Wohlfahrtsstaates nach dem Zweiten Weltkrieg und das entsprechende Wachstum der Bundesverwaltung hatten zur Folge, dass ein beträchtlicher Teil dieser Sparbemühungen des Bundes gar nicht sichtbar wurde. Eine Reaktion auf diese in der liberalen politischen Öffentlichkeit umstrittene Entwicklung war das „Volksbegehren betreffend einer eidgenössischen Verwaltungskontrolle“. Die Initianten versuchten damit, das Wachstum der Bundesverwaltung zu beschränken respektive zu bremsen. Die spannende Reaktion des Bundesrates zeigt sich in seinem Bericht an die Bundesversammlung über das Volksbegehren betreffend einer eidgenössischen Verwaltungskontrolle vom 30. April 1954. Er versuchte nämlich, das Begehren in einen Vorstoss zugunsten der Errichtung einer Zentralstelle für Organisationsfragen der Bundesverwaltung umzuwandeln, was im Grunde einen weiteren Ausbau der Bundesverwaltung bedeutet hätte und demzufolge umstritten war. Die Auseinandersetzung darüber zog sich bis in die 1970er Jahre hinein, wie an der Aufwertung der Zentralstelle für Organisationsfragen der Bundesverwaltung zum Bundesamt für Organisation sichtbar wird (vgl. unten).
Das Anliegen für eine Verwaltungsreform wurde schliesslich durch einen veritablen Skandal vorangetrieben: Der "Mirage-Skandal" beschäftigte 1964 die schweizerische Öffentlichkeit. 1961 hatte das Parlament die Beschaffung von Flugzeugen des Typs Mirage beschlossen. Bald zeigten sich die Tücken des Vorhabens: Die Konstruktionspläne änderten sich ständig und die Kosten explodierten. Der Bundesrat sah sich gezwungen, im Parlament einen Zusatzkredit zu beantragen. Die Parlamentarier waren erbost und beschlossen eine Verstärkung der Aufsicht über Regierung und Verwaltung. So sollten künftig "Vorfälle von grosser Tragweite" durch eine eigens eingesetzte Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) abgeklärt werden können. Dieses Instrument sollte erstmals 1989 beim Rücktritt von Bundesrätin Elisabeth Kopp zum Einsatz kommen. Weitere vom Parlament beschlossene Massnahmen finden sich im spannenden Expertenbericht über Verbesserungen in der Regierungstätigkeit und Verwaltungsführung des Bundesrates von 1967.
Das Wachstum der Bundesverwaltung hatte zur Folge, dass immer mehr Informationen in immer kürzerer Zeit verarbeitet werden mussten. Vor diesem Hintergrund begann der technologische Wandel, die Bundesverwaltung nachhaltig zu beeinflussen. Die Erfassung und Auswertung von statistischen Daten, Lohnabrechnungen und andere Verarbeitungen von Daten mit grossem Volumen und standardisierten Prozeduren wurden in den 1960er Jahren vermehrt computerisiert. Die automatische Datenverarbeitung schien das Versprechen nach mehr Effizienz einlösen zu können. Die Zahl der in der schweizerischen Bundesverwaltung eingesetzten Computer vervierfachte sich zwischen 1960 und 1980.15 Auch wenn wir heute von einer digitalen Revolution sprechen, so war dieser Wandel, über die ganze Zeit gesehen, inkrementell. In der Verwaltung entwickelte sich die Datenverarbeitung in den 1990er Jahren zur Informations- und Kommunikationstechnologie. Eine spannende Momentaufnahme dieses Wandels zeigt sich im „Erfahrungsbericht“ und der „Standortbestimmung“ der Zentralstelle für Organisationsfragen zur automatischen Datenverarbeitung in der Bundesverwaltung von 1969.
Die immer stärkere Vernetzung von Aufgaben führte zu einem erhöhten Bedarf an Koordination in der Bundesverwaltung, wie einem Bericht und Gesetzesentwurf der Expertenkommission für die Totalrevision des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesverwaltung von 1971 zu entnehmen ist. Das Bundesamt für Organisation (BfO) sollte die Arbeitsabläufe systematisch planen, evaluieren und weiterentwickeln. Dieser Auftrag galt als derart wichtig, dass, allerdings erst nach langen Beratungen im Parlament (vgl. oben), die Aufgaben der Planung, Organisation und Koordination in der Bundesverwaltung eine eigene Gesetzesgrundlage erhielt. Diese gab dem neuen BfO auch die Kompetenz, den Einsatz der automatischen Datenverarbeitung in der Bundesverwaltung zentral zu koordinieren, wie in der Botschaft zu einem neuen Bundesgesetz über das Bundesamt für Organisation vom 11. Juli 1979 nachgelesen werden kann. 1990 löste der Bundesrat das Amt auf, respektive verlagerte seine Aufgaben in das Bundesamt für Informatik (BfI), worauf das Parlament das entsprechende Gesetz wieder aufhob.
Die Anpassung der Bundesverwaltung an das veränderte Umfeld zeigt sich unter anderem an der Zahl und der Ausrichtung von Bundesämtern. 1928 gab es 30 Ämter in sechs Departementen. Diese Zahl stieg bis 1980 auf rund 50. Das Verwaltungsorganisationsgesetz führte nach einer Revision 1991 dann 70 Bundesämter auf. Danach wurden Ämter aber teilweise aufgelöst oder mit anderen zusammengelegt, so dass ihre Zahl 1999 wieder sank, auf ca. 50.16 Das Wachstum der Bundesverwaltung zeigt sich auch am Bundespersonal: Kurz nach der Bundesstaatsgründung arbeiteten rund 100 Personen in der allgemeinen Bundesverwaltung und rund 3‘000 bei den Post-, Telefon- und Telegrafenbetrieben und beim Zoll. Nach einem Wachstum auf fast 140'000 Personen, kehrten die in den 1990er Jahren eingeführten Reformen den Trend um: Um die Jahrtausendwende arbeiteten noch rund 36‘000 Personen in der Bundesverwaltung.
Diese Reformen waren Ergebnis des New Public Management (NPM), dessen Modelle in der Bundesverwaltung seit den 1980er Jahren umgesetzt wurden. Ein überaus spannender Bericht dazu findet sich unter dem Titel „EFFI-QM-BV“ im Schlussbericht zur Potentialanalyse („Phase 1“) der Beratungsfirma McKinsey vom 4. Mai 1987.17 Diese Modelle wurden in behördlichen Stellen, die als Pioniere fungierten, ausprobiert und in Berichten evaluiert und zielen auf eine stärkere Orientierung der Verwaltung an den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger. Ein konstitutiver Bestandteil dieser NPM-Reformen war die „unternehmerische Verantwortung“ der Bundesverwaltung, welche vermehrt berücksichtigt werden sollte. Parlament und Bundesrat gaben Ziele vor, welche mit den bereit gestellten Mitteln erreicht werden mussten. "Führen mit Leistungsauftrag und Globalbudget" (FLAG) heisst dieses Modell, das die Verwaltung heute noch verwendet. Seine Bedeutung und Wirksamkeit wurde im Schlussbericht Regierungs- und Verwaltungsreform der Schweizerischen Bundeskanzlei im Jahr 2000 beschrieben.
Im Zusammenhang mit dem NPM erfolgte auch die aktuell gültige organisatorische Neuaufstellung der Bundesverwaltung in vier konzentrische Kreise: Zentrale Verwaltung; Bereiche, welche durch budgetäre Leistungsaufträge geleitet werden (z.B. Bundesamt für Kommunikation, Méteo-Suisse); formell eigenständige Bereiche, welche aber vollständig dem Bund unterstellt sind (z.B. ETH; Pensionskasse Publica) sowie eigentliche privat-rechtliche Unternehmen, welche aber zur Mehrheit dem Bund gehören (z.B. SBB; Swisscom; Post).18
Résumé
Die beschriebenen Quellen repräsentieren Brüche in der Kontinuität der Verwaltung primär aus einer schweizerischen Perspektive. Sie verweisen auf eine Bundesverwaltungsgeschichte, verstanden als Analyse der Herkunft, der Entstehung und der Veränderung von Interaktionen, die bindende politische Entscheidungen auf Bundesebene herstellen, wie Niklas Luhmann sie umschrieben hat. Diese dokumentarische Beschreibung setzt organisatorisch bei wichtigen Akteuren der Exekutive und ihrer jeweiligen Handlungslogik an. Um die Problemlösungskapazität angesichts der wachsenden Staatsausgaben aufrechtzuerhalten, ist die Bundesverwaltung fortwährend reorganisiert worden. Diese Reorganisationen umfassten den Ausbau des Departementalprinzips, das Delegieren von Aufgaben, die Verfeinerung der Arbeitsteilung innerhalb der Verwaltung und die Auslagerung von Aufgaben an Dritte. Die Verwaltungsreformen ersetzten weitgehend die Regierungsreformen, die seit der Gründung des modernen Bundesstaates fortwährend debattiert wurden, wie dies Urs Altermatt im biografischen Lexikon der Bundesräte immer wieder betont hat.19
Da der Fokus der ausgewählten Quellen auf der Geschichte der Organisation der Bundesverwaltung liegt, konnte ein anderer wichtiger Aspekt hier nicht diskutiert werden: die zunehmende interne und externe Abstimmung beim Zustandekommen politischer Entscheidungen. Stichworte wären hier etwa der wachsende Beizug von verwaltungsexternen Verbänden und Experten sowie die zunehmende Zahl von Vernehmlassungen und Anhörungen. Wie eingangs erwähnt, beleuchten die ausgewählten Dokumente primär die Exekutive auf Bundesebene. In einem weiteren Schritt könnten die Interaktionen mit dem Parlament, der gesetzgebenden Kraft, und – um die Gewaltenteilung komplett zu machen – die Beziehungen mit der Judikative eingehend untersucht werden.
In der Schweiz wird die Verwaltung ausserhalb von Staatsrecht und Politologie kaum thematisiert. Insbesondere die Verwaltungsgeschichte ist ein Desiderat. Diese Anthologie weisst mit der Präsentation von zwölf schweizerischen und zwei internationalen Quellen darauf hin, dass der Aufbau einer Verwaltungsgeschichte in der Schweiz anhand transnationaler, vergleichender Forschungsansätze erfolgen sollte.
1 Zur Periodisierung der (Bundes-) Verwaltungsgeschichte in der Schweiz vgl. Gees, Thomas: Verwaltungsreformen als Substitut für gescheiterte Regierungsreformen: Ein Muster?, in: Öffentliche Verwaltung im Wandel. Verwaltungsreformen in der Schweiz im 19. und 20. Jahrhundert, Schweizerisches Bundesarchiv, Bern 2011. Online: Schweizerisches Bundesarchiv, <https://www.bar.admin.ch/bar/de/home/service-publikationen/verwaltungsgeschichte/fruehere-veranstaltungen/tagung--oeffentliche-verwaltung-im-wandel.html>, Stand: 30.06.2016.
2 Wilson, Woodrow: The Study of Administration, in: Political Science Quarterly 2 (2), 1887. Reprint in: Shafritz, Jay M.; Hyde, Albert C. (Hg.): Classics of public administration, Chicago 19872.
3 Fleiner, Fritz: Institutionen des Deutschen Verwaltungsrechts, Tübingen 1911, S. 7.
4 Luhmann, Niklas: Reform und Information, Theoretische Überlegungen zur Reform der Verwaltung, in: Luhmann, Niklas: Politische Planung : Aufsätze zur Soziologie von Politik und Verwaltung, Opladen 1970, S. 182.
5 Vgl. dazu zum Beispiel Bäumlin, Richard: Verfassung und Verwaltung in der Schweiz, in: Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit. Festschrift für Hans Huber zum 60. Geburtstag, 24. Mai 1961 dargebracht von Freunden, Kollegen, Schülern und vom Verlag, Bern 1961, S 69ff.
6 So bezeichnet Raimund E. Germann in seinem Standardwerk seine „Anatomie“ der Verwaltung: Germann, Raimund E.: Öffentliche Verwaltung in der Schweiz, Bern 1998 (Kapitel 2).
7 Zum frühen Bundesstaat und seinem Verhältnis zum Bundesvertrag von 1815 vgl. Eichholzer, Eduard: Ein geschichtlicher Überblick von Werden und Wachsen der Bundesverwaltung, in: Schweizerisches Zentralblatt für Staats- und Gemeindeverwaltung 70, 1969, S. 113-120.
8 Bäumlin, Richard: Verfassung und Verwaltung in der Schweiz, in: Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit. Festschrift für Hans Huber zum 60. Geburtstag, 24. Mai 1961 dargebracht von Freunden, Kollegen, Schülern und vom Verlag, Bern 1961, S. 69ff.
9 Germann, Raimund E.: Öffentliche Verwaltung in der Schweiz, Bern 1998 (Kapitel 3).
10 Webers Kapitel zur „Honoratiorenverwaltung“ in „Wirtschaft und Gesellschaft“ von 1922 vergleicht die Township in den USA mit den „unmittelbar demokratischen Schweizer Kantonen“; vgl. Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 1922. Online: textlog.de, <http://www.textlog.de/7402.html>, Stand: 06.11.2015.
11 Germann, Raimund E.: Öffentliche Verwaltung in der Schweiz, Bern 1998 (Kapitel 3).
12 Fleiner, Fritz: Beamtenstaat und Volksstaat, in: Fleiner, Fritz: Ausgewählte Schriften und Reden, Zürich 1941, S. 138–162.
13 Vgl. Ultermatt, Urs: Die Departemente der Bundesverwaltung : eine historische Skizze, in: Prongé, Bernard u. a. (Hg.): Passé pluriel : en hommage au professeur Roland Ruffieux, Fribourg 1991, S. 291-305, sowie Altermatt, Urs: Der Bundesrat zwischen Regieren und Verwalten, in: Altermatt, Urs: Die Schweizer Bundesräte. Ein biographisches Lexikon, Zürich, München 1991.
14 Sparexpertisen in der Bundesverwaltung; Berichte der Sparexperten; Abteilung für Landwirtschaft, Kriegsernährungsamt, 1947-1952, Schweizerisches Bundesarchiv, Eidgenössische Finanzverwaltung, Zentrale Ablage, Signatur: E6100A-25#1000-1925#20#3#1*.
15 Vgl. Koller, Guido: Early Digital Visions in the Swiss Federal Administration, Conference ICT@Admin, 27.03.2015. Online: YouTube, <https://www.youtube.com/watch?v=_ZBuJnY8cTA>, Stand: 20.07.2015.
16 Die detaillierten Angaben finden sich im Eidgenössischen Staatskalender unter Digitale Amtsdruckschriften des Bundesarchivs. Das Eidgenössische Militärdepartement wurde wegen der besonderen Situation während des Zweiten Weltkrieges von diesem Vergleich ausgenommen.
17 Die Bundeskanzlei hat diesen Bericht, der noch innerhalb der Schutzfrist liegt, für die Anthologie freigegeben. Der Bericht findet sich im Dossier E1048A#1999/129#52*, EFFI-QM-BV: Schlussbericht Phase 1.
18 Varone, Frédéric: L’administration fédérale, in: Klöti, Ulrich (Hg.): Handbuch der Schweizer Politik, Zürich 2006, S. 291.
19 Altermatt, Urs: Die Schweizer Bundesräte. Ein biographisches Lexikon, Zürich 1992.